Es ist kein Geheimtipp, denn fast jeder in Lüneburg kennt das Hotel Bremer Hof – mitten in der Stadt gelegen, ausgestattet mit 54 Zimmern, klein, fein und familiär geführt von Kerstin und Thomas Brakel ist die Gastwirts-Tradition der Familie Brakel an der Lünerstraße 13. Exakt am 1. August 1889 übernahm Urgroßvater Wilhelm Vornekahl die schlichte Gastwirtschaft, schaffte nebenbei noch in der Landwirtschaft, braute sein Bier selber und bewirtschaftete einen großen Gemüsegarten. Wenn abends die Gäste aus der Nachbarschaft beim Skat saßen, ging er in den Stall, um Kühe, Schweine und Federvieh zu füttern. Alles der Reihe nach und mit Ruhe. In dieser Zeit war der Bremer Hof noch schlichte Gastwirtschaft, wo die Bauern ihre Pferdegespanne auf dem Hof parkten, um in der Stadt einkaufen zu können. „Einkaufen zu müssen“, so empfanden es die meisten Männer. Einziger Trost für’s mühsame Pflastertreten mag da ein Bierchen im Bremer Hof gewesen sein. Immerhin: es gab schon 13 Fremdenzimmer. Und um das Wohl der Gäste war man auch damals schon bemüht: Noch bis 1926 bekamen die Übernachtungs-Gäste einen Kerzenleuchter mit ans und eine Wärmflasche mit ins Bett. Erst nach dem Ersten Weltkrieg erstrahlte die Gaststube in elektrischem Licht. Das ist lange her.
So richtig aufwärts ging es in dritter Gastwirtsgeneration. Albert Brakel hatte das Ruder übernommen und seine Frau Gerda die gute Idee, die Kneipe peu à peu in ein Hotel zu wandeln. Und das taten sie sehr erfolgreich, obwohl Albert Brakel eigentlich gerne Arzt anstelle von Gastwirt geworden wäre. Wer den ehemaligen Chef vom Hotel Bremer Hof gekannt hat, weiß, dass Albert Brakel in kein Klischee passte. Er war weder ein Gastwirt aus Berufung, noch ein hervorragender Koch oder besonders handwerklich talentiert. Im Gegenteil. „Als technische Niete“ hat er sich einmal selber bezeichnet.
Aber für eines liebten ihn seine Gäste und schätzten ihn die Lüneburger im Allgemeinen: Albert Brakel verstand es, mit viel Witz und Humor auf die Menschen zuzugehen und sie zu vereinen. Nur verstehen musste man seinen handfesten Charme. Gerne begrüßte er die Gäste, die ihm am Herzen lagen, mit Sprüchen wie: „Ach, heute bleibt mir auch nichts erspart“ oder „Hab deine Scheißkarre schon auf meinem Hof gesehen“. Jeder wusste dann, man war willkommen im Bremer Hof.
Ungemütlich wurde es erst, wenn er besondere Höflichkeit an den Tag legte und sich gewählt ausdrückte. Dann war allen klar: Diesen Gast sähe Albert Brakel lieber von hinten. Aber das geschah selten, denn mit seinem ganzen Wesen war er auf Ausgleich eingestimmt, ja fast schon konfliktscheu. Eben ein sensibler Mensch, der sich hinter harter Schale verbarg. Man musste ihn schon sehr nerven, damit er wirklich unhöflich wurde. Und selbst dann blitzte noch sein norddeutscher Humor durch. Als eines Tages die Sängerinnen Maria und Margot Hellwig im Bremer Hof eincheckten und wohl etwas zu bestimmt fragten, ob denn wohl jemand ihr Gepäck auf die Zimmer bringen könne, kam von Albert Brakel nur trocken: „Ne, wir sind ein Sporthotel, hier trägt jeder sein Gepäck selbst.“ Die beiden Damen nahmen’s gelassen und legten selber Hand an.
Weniger amüsiert reagierte jener Gast, der sich am Morgen über die Mäuse beschwerte, die angeblich nachts unter seinem Bett ein Riesenspektakel veranstaltet hatten. „Bei den niedrigen Zimmerpreisen kann ich nicht auch noch einen Stierkampf organisieren“, machte Albert Brakel seinem verblüfften Gegenüber klar. Der packte augenblicklich die Koffer, zog ins Hotel Wellenkamp und empörte sich dort beim Chef des Hauses, August Wilhelm Rehbehn. „Ich konnte mir nur mühsam ein Lachen verkneifen“ erinnert der sich.
„Verkaufen“ und „Geschäfte machen“ war eben nicht alles im Leben von Albert Brakel. Vielmehr interessierten ihn die Menschen. Vielleicht wäre er deshalb gerne Arzt geworden. Aber nach dem Zweiten Weltkrieg war kaum ein Studienplatz zu ergattern und Albert Brakel außerdem kein Primus. „Bleib mal erstmal hier und mach’ eine Lehre als Kellner“, riet sein Vater. Gesagt, getan. Albert Brakel trat in den elterlichen Betrieb ein. Nicht, ohne sich vorher ordentlich „die Hörner abgestoßen zu haben“. Und das tat man zu jener Zeit natürlich in der Rauno-Bar, denn da war immer was los bis spät in die Nacht hinein. Es muss wohl dem Alkohol zuzuschreiben sein, dass sich Albert und seine Freunde nach durchzechter Nacht die Bratpfannen aus der Bremer-Hof-Küche schnappten und sie als Schlitten für eine Rutschpartie auf dem verschneiten Liebesgrund missbrauchten. Wie am anderen Tag im Bremer Hof gebraten wurde, ist nicht überliefert, denn brauchbare Pfannen gab es keine mehr – die waren alle hin.
"...dann bis morgen, halb acht bei Opa Wurst" von Edith Möller, erschienen im Wartberg Verlag, www.wartberg-verlag.de